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Im Hier und Jetzt leben

Im August hat Daniela Kondziela die Diagnose Brustkrebs erhalten. Damit gehört sie zu den mehr als 69000 Frauen, die in Deutschland jährlich neu erkranken. Ihren Humor hat sie trotzdem nicht verloren.

Göttingen, 01. Dezember 2018

Vor zweieinhalb Monaten hat Daniela Kondziela die Diagnose Brustkrebs erhalten. Seitdem wehrt sich die junge Frau mit aller Kraft gegen die Krankheit. Die erste Chemotherapie hat sie bereits bekommen, Bestrahlung und Hormontherapie liegen noch vor ihr. Die 41-Jährige möchte vor allem eins nicht: ihren Humor verlieren.

„Ich hatte ein blödes Bauchgefühl, auf das ich hätte hören sollen“, sagt Kondziela. „Hätte, hätte, Fahrradkette.“ Im Januar des vergangenen Jahres, die 41-Jährige bereitet sich gerade auf den Hamburg-Marathon vor, ertastet sie einen Knoten in ihrer linken Brust. Ultraschall und Mammografie deuten auf gesundes Gewebe hin, wird ihr gesagt. Sie soll die Entwicklung beobachten. Doch der Knoten wächst. Im Mai 2018 wieder Tastbefund und Ultraschall, im Juli wird schließlich eine Stanzbiopsie genommen. Ergebnis: Mammakarzinom. „Da wusste ich, dass es bösartig ist“, sagt Kondziela. Sie fragt den Arzt, ob er die Gewebeproben vertauscht haben könnte. 16 Tage später wird ihr ein Teil der Brust entfernt. Dabei zeigte sich: Es war nicht ein Tumor, es waren fünf.

Platz für etwas Gutes

Der Arzt, der ihr die Diagnose mitteilt, ist herzlich, „aber zu fürsorglich in dem Moment“. Sie will sich nicht an seiner Schulter ausweinen. Was sie braucht und will, ist ein Fahrplan. „Ich muss sachlich bleiben, um die Grundinformationen aufzunehmen“, erklärt sie. Danach könne sie anfangen, das Ganze zu verarbeiten. Dafür geht Kondziela am liebsten in die Natur. „Man muss sich erstmal ausweinen, dann hat man wieder Platz für etwas Gutes.“ Das habe sie jedes Mal getan, den Frust einfach herausgelassen.

Zu Hause erzählt sie ihrem Partner und Vater von dem Befund. „Das tat mir am meisten leid.“ Sie sagt ihnen, dass sie stärker sein müssen als sie. Beide haben Angst, dass sie sich zu viel zumutet. „Ich muss in der Situation erst mal mit deinem Humor und Optimismus zurechtkommen“, sagt ihr Partner.

Netzwerk aufbauen

Die 41-Jährige legt einen Ordner an, lässt sich von jedem Arzt den Namen geben, heftet Befunde ab und erkundigt sich im Krankenhaus vor der Operation, was wie ausgefüllt werden muss. Doch sie hat das Gefühl, das alles zu lange dauert, fragt sich, worauf jetzt noch gewartet wird und wann sie endlich einen Termin für die Entfernung des Tumors bekommt. „Ich habe beim Frühstück gesessen und geheult, weil ich so verzweifelt war.“ Sie schreibt eine E-Mail an den zuständigen Arzt, doch der ist im Urlaub. Kurzerhand faxt sie ihre Nachricht an die Klinik und bekommt daraufhin bald Antwort. „Man muss auch sagen, was man will“, sagt sie.

Die 41-Jährige baut sich ein Netz auf, recherchiert, was ihr an Unterstützung zusteht und wo sie Hilfe bekommen kann. „Man muss sich, wenn man eine lebensbedrohliche Krankheit hat, in Eigenverantwortung ziehen, auch wenn es schwer fällt“, ist sie überzeugt. Die größte Angst hat Kondziela, als noch unklar ist, ob der Krebs bereits gestreut hat. Doch Leber, Niere, Lunge und Skelett sind frei.

Erste Dosis Chemotherapie

Bei der ersten Operation kann nicht alles herausgenommen werden. Einen Monat später folgt die Zweite. 28 Lymphknoten werden entfernt, die verbliebene Brust komplett abgenommen. Kondziela lässt sich von ihrem Friseur die Haare abrasieren. Sie will den Moment selbst bestimmen, hat Angst davor, ihr Haar büschelweise in der Hand zu halten. Die Frage „Warum ich?“, stellt sie sich nicht, weil es darauf keine Antwort gibt. Betrauern muss sie nichts. Vielleicht wird sie sich für einen Brustaufbau entscheiden, aber das liege in weiter Ferne. „Weiblichkeit kommt aus dem Herzen“, sagt sie.

Die erste Dosis Chemotherapie Anfang Oktober „war nicht ohne“. Sie habe sich danach gefühlt , „als ob ich mit angezogener Handbremse durch den Tag“ gehe. Zum Essen und Trinken muss sie sich zwingen. Vor dem Krebs hat Kondziela viel Sport gemacht, hat Triathlons absolviert, ist gelaufen und gewandert. Jetzt nicht einmal mehr die einfachsten alltäglichen Dinge selber machen zu können wie sich die Haare waschen, einkaufen oder kochen, ist schwer zu akzeptieren.

Beziehungen sind intensiver geworden

Unterstützung erhält sie von Freunden und Familie, ihr Vater begleitet sie zu jeder Untersuchung. Ihre Freunde sollen wissen, wie es ihr geht und was sie beschäftigt. Sie sollen genauso offen zu ihr sein, wie sie es auch ihnen gegenüber ist, ohne Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu fragen. „Ich bin der Mensch hinter der Krankheit“, sagt Kondziela. Man dürfe nie den Menschen vergessen und nur die Krankheit sehen.

Bei vielen höre man, dass Menschen sich abwenden. Bei ihr sei es genau umgekehrt: „Die Beziehungen haben sich intensiviert.“ Viele bieten ihre Hilfe an, „die es auch so meinen“. Dafür empfinde sie viel Dankbarkeit.

Kondziela wünscht sich, in Zukunft gelassener zu sein, mit Ängsten besser umgehen zu können und die „Dinge nicht zu stark kontrollieren zu wollen.“ Dazu gehöre, mehr dem Zufall zu überlassen und im Hier und Jetzt zu leben. „Planen tue ich nichts, aber geträumt wird“, sagt sie lächelnd.

„Frauenselbsthilfe nach Krebs“

„Es ist ein Lichtblick, dass es genügend geschafft haben, warum sollst du es nicht schaffen?“ Dieses Gefühl gebe ihr die „Frauenselbsthilfe nach Krebs“, sagt Kondziela. Insgesamt dreimal im Monat treffen sich die Mitglieder der Selbsthilfegruppe. An jedem zweiten Montag im Monat gibt es einen Gesprächskreis. „Wir versuchen, den Neuerkrankten durch unsere Erfahrung Mut zu machen“, sagt Leiterin Sigrid Beister. Es sei einfach etwas anderes, mit jemandem reden zu können, „der weiß, wovon ich spreche“. Angehörige könnten zuhören, aber sie wüssten nicht, wie es sich anfühlt.

Frauen, die immer noch zu den Treffen kommen, obwohl ihre Krebserkrankung 20 oder 25 Jahre zurückliegt, zeigten, dass man auch mit dieser Erkrankung lange leben und seine Lebensqualität wiederfinden könne, auch wenn der Krebs immer Thema bleibt. „Im Prinzip ist es nie abgeschlossen“, sagt Margita Klee, Kassiererin des Vereins. Sie ist Mitglied, seitdem die Gruppe 1985 in Göttingen gegründet wurde.

Gemeinsam verreisen, um abzuschalten

An den anderen beiden Montagen, dem ersten und dritten im Monat, organisiert die Gruppe unter anderem Vorträge, Ausflüge, oder die Frauen basteln gemeinsam. Damit wollen sie die Mitglieder „aus der Krankheit rausholen“, sagt Beister. Dazu gehöre auch, mindestens einmal im Jahr gemeinsam zu verreisen, um etwas abzuschalten. Eines der Bastelprojekte sind rote Herzkissen, die von den Frauen der Gruppe genäht werden und dann an brustoperierte Frauen in der Klinik gehen. Damit wollten sie zum einen sagen: „Du bist nicht allein“, zum anderen könnten die Frauen das Kissen in die Achselhöhle legen, das sei angenehm nach der Operation.

Manchmal sei die Arbeit in der Selbsthilfegruppe auch belastend, „weil es leider Gottes immer welche gibt, die es nicht schaffen“, sagt Beister. Trotzdem gebe ihr die Tätigkeit viel Kraft. Sich auf das Ende vorzubereiten, zum Beispiel mit einem Besuch des Friedwalds oder durch Führungen über den Stadtfriedhof, gehöre auch dazu, sagt Klee.

Anders als der Name es vermuten lässt, ist die Gruppe für alle an Krebs Erkrankten, auch für Männer, offen.

„Pinktober“ – Brustkrebsmonat Oktober

Nach Angaben des Krebsregisterzentrums erkranken jährlich mehr als 69 000 Frauen neu an Brustkrebs (Mammakarzinom) – die mit Abstand häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland. Das Mammakarzinom tritt häufiger in jüngerem Alter auf als die meisten anderen Krebsarten. Fast 30 Prozent der betroffenen Frauen sind jünger als 55 Jahre, wenn sie die Diagnose erhalten. Doch trotz der gestiegenen Erkrankungszahlen sterben heute weniger Frauen an Brustkrebs als noch vor 20 Jahren. Die Heilungsrate ist in den letzten zehn Jahren „durch eine verbesserte Früherkennung, neue Therapiekonzepte (operativ, strahlentherapeutisch und medikamentös) und die interdisziplinäre Betreuung in den zertifizierten Zentren gestiegen“, erklärt die Deutsche Krebsgesellschaft.

Um über die Erkrankung aufzuklären und sie stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, wurde der Oktober weltweit zum Brustkrebsmonat ausgerufen. Die Aktion geht zurück auf eine Initiative der American Cancer Society aus dem Jahr 1985. Seitdem werden auch in Deutschland bundesweit Kampagnen und Informationstage veranstaltet. „Horizonte Göttingen – Verein zur Unterstützung brustkrebserkrankter Frauen“ beteiligt sich ebenfalls und organisiert am Samstag, 20. Oktober, um 15 Uhr in der Alten Mensa am Wilhelmsplatz unter dem Motto „Brustkrebs geht uns alle an“ einen Tag für Patienten, Angehörige und Interessierte. Der Verein wird dabei unter anderem über die Erkrankung, Früherkennung und Unterstützungsmöglichkeiten für betroffene Frauen informieren.

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